Wir haben die Bundestags-Kandidierenden von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, FDP, Die Linke und AfD des Wahlkreises Kassel nach ihrer ernährungspolitischen Haltung befragt. Die Antworten sind in der Reihenfolge des Eingangs aufgelistet:
1. Ernährungsarmut und Recht auf Nahrung
Der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) der Regierung bemängelt, dass es selbst in einem reichen Land wie Deutschland armutsbedingte Fehl- und Mangelernährung und sogar Hunger gibt. Er stellt fest, dass die Bemessung der Regelsätze im Sozialgeld für eine vollwertige Nahrung unzureichend ist.
Welche Maßnahmen planen Sie, um das Menschenrecht auf eine
gesunde, nachhaltige Ernährung in Deutschland umzusetzen?
Daniel Bettermann (SPD)
Dazu haben wir einen sehr wichtigen Punkt in unserem Wahlprogramm: Wir wollen ein kostenloses Essen in Kitas und Schulen anbieten.
Bildung ist für mich ein weiterer wichtiger Baustein. Schülerinnen und Schüler müssten im Hinblick auf gesunde Ernährung besser ausgebildet werden. Auch bei Hilfsangeboten, wie beispielsweise den Tafeln, müsste mehr Aufklärung erfolgen. Bei einem Gespräch mit Mitarbeitenden einer Tafel konnte ich u.a. erfahren, dass viele Menschen gar nicht wissen, was sie mit einem Kohlkopf oder einem Möhrenbündel machen sollen.
Violetta Bock (Die Linke)
Radikal sozial wollen wir den Ursachen von Armut und Ungleichheit begegnen. Wir wollen unter anderem das Bürgergeld zu einer sanktionsfreien, individuellen Mindestsicherung umbauen in Höhe von derzeit 1400 Euro (orientiert an der Armutsgefährdungsgrenze) und wollen Grundnahrungsmittel von der Mehrwertssteuer befreien. Für eine gesunde Ernährung halten wir ein gesundes, kostenfreies Mittagessen in Schulen und Kitas für zentral.
2. Proteinwende
Für die Transformation des Agrar- und Ernährungssektors hin zu mehr Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Resilienz spielt die Proteinversorgung eine grundlegende Rolle, das untermauern sowohl die Ernährungsstrategie des Bundes, als auch die neuen Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Die hiesige Produktion von pflanzlichen Proteinquellen für eine zunehmend pflanzenbetonte Ernährung muss ausgebaut werden.
Welche Förder- und Umsetzungsmaßnahmen schlagen Sie vor, um die Produktion und das Angebot pflanzlicher Proteine zu unterstützen?
Daniel Bettermann (SPD)
Ich unterstütze ausdrücklich die Ernährungsstrategie der Bundesregierung für eine zukunftsfähige Ernährungsbildung, in die stärker gesundheitliche, umwelt- und klimarelevante sowie gesellschaftliche Aspekte einfließen. Zudem ist auch hier Bildungsarbeit unerlässlich und es müsste mehr medial geworben werden.
Violetta Bock (Die Linke)
Wir unterstützen das Ziel pflanzenbetonte Ernährung zu fördern und damit auch den Anbau von Hülsenfrüchten. Öffentliche Einrichtungen sollen daher ihre Lebensmittel regional und umweltfreundlich beziehen und sich an die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung halten. Dies braucht staatliche Zuschüsse und schafft Verbindlichkeit in der Produktion.
Wir wollen nicht große Konzerne weiter in den Mittelpunkt der Agrarpolitik stellen, sondern die Versorgung der Menschen mit guten, bezahlbaren Lebensmitteln. Während die Lebensmittelkonzerne Extraprofite einstreichen und die Inflation anheizen, können Landwirt*innen von ihren Erzeugnissen kaum leben. Wir unterstützen daher regionale Wertschöpfungsketten und wollen, dass mit der kommenden GAP-Strategie Landwirtinnen und Landwirte für ihre Ökosystemleistungen ausreichend entlohnt werden. Zusätzlich fordert die Partei öffentliche Investitionen von 5 Milliarden Euro pro Jahr, um die Agrarwende sozial und ökologisch zu gestalten. Diese Mittel sollen unabhängig vom EU-Budget bereitgestellt werden und durch Maßnahmen wie die Aussetzung der Schuldenbremse finanziert werden.
3. Bodenpolitik und Zugang zu Ressourcen
Gemeinwohlorientierte Bodenpolitik und ein Ende der Spekulation mit landwirtschaftlichen Flächen sind zentral für die dringend nötige Ernährungswende.
Wie möchten Sie Spekulationen mit landwirtschaftlichen Flächen verhindern und welche Maßnahmen planen Sie, um Land, Saatgut und Tierzucht als Gemeingüter zu fördern?
Daniel Bettermann (SPD)
Auch wegen dem Schutz und der Erhaltung landwirtschaftlicher Flächen hat sich die Bundesregierung zum Ziel gesetzt, den täglichen Zuwachs an Siedlungs- und Verkehrsfläche in Deutschland von heute rund 52 Hektar pro Tag bis zum Jahr 2030 auf unter 30 Hektar pro Tag zu reduzieren, um bis zum Jahr 2050 einen Flächenverbrauch von netto Null im Sinne einer Flächenkreislaufwirtschaft zu erreichen. Dieses Ziel, welches ich unterstütze, kann nur gelingen, wenn der Nachnutzung von Grundstücken und dem Bauen im Bestand konsequenter Vorrang vor der Neuausweisung von Siedlungsflächen gegeben wird.
Violetta Bock (Die Linke)
Gemeinwohlorientierte Bodenpolitik ist zentral für die nötige Ernährungs- und Agrarwende. Wir wollen den Boden für regional verankerte Landwirtschaftsbetriebe und die ländliche Bevölkerung verfügbar machen. Dafür wollen wir einen öffentlichen Bodenfonds einführen, der an nachhaltig wirtschaftende, ortsansässige Agrarbetriebe zu fairen Konditionen langfristig verpachtet. Junglandwirtinnen und Junglandwirte sowie genossenschaftliche Konzepte wollen wir fördern. Wir setzen uns für Eigentümertransparenz am Bodenmarkt ein. Wir stehen für ein Agrarstrukturgesetz, das gemeinschaftliches und öffentliches Eigentum an Grund und Boden stärkt und die Bäuer*innen schützt. Saatgut darf nicht durch Konzerne monopolisiert werden. Wir setzen uns für eine Ausweitung der Bundesförderung für tiergerechte Haltungssysteme bei allen Tierarten ein. Wir wollen ein Ende von Qualzuchten, der Anbindehaltung sowie Einschränkung von Lebendtiertransporten über 4 Stunden hinaus, stärkere Kontrollen und dezentrale Schlachtstrukturen.
Wir werden daher auch in Zukunft Proteste, wie die Ackerbesetzung in Neu Eichenberg gegen das Logistikgebiet auf fruchtbarem Ackerboden, unterstützen.
4. Neuer Steuerkurs für Lebensmittel
Der Bürgerrat „Ernährung im Wandel“ empfiehlt einen neuen Steuerkurs für Lebensmittel und betont die Notwendigkeit, die Definition von Grundnahrungsmitteln im Sinne einer gesunden, ökologischen und pflanzenbetonten Ernährung zu überarbeiten. Der Bürgerrat schlägt u.a. vor, Produkte wie unverarbeitetes und tiefgefrorenes Obst und Gemüse in Bio-Qualität, Hülsenfrüchte, Nüsse und Vollkorngetreide von der Mehrwertsteuer zu befreien, Zucker jedoch höher zu besteuern.
Befürworten Sie eine solche Reform der Besteuerung von Lebensmitteln?
Daniel Bettermann (SPD)
Ich persönlich würde eine solche Reform der Besteuerung unterstützen, dies ist allerdings noch nicht Beschlusslage im SPD-Wahlprogramm. Im Wahlprogramm haben wir allerdings eine Reduzierung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel. Aus meiner Sicht ein erster wichtiger Schritt.
Violetta Bock (Die Linke)
Ja, das befürworten wir.
Pflanzliche Alternativnahrungsmittel etwa zu Fleisch oder Milchprodukten müssen als Grundnahrungsmittel anerkannt werden und damit von der Mehrwertsteuer befreit werden. Weitere Maßnahmen finden Sie in unserem Wahlprogramm im Kapitel „Agrarwende jetzt“.